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Objektgruppe Leder und Textilien

Ein Strumpf mit Ledersohle

FO: Baumstraße/ Im Wendischen Dorfe
Wolle, Gestricke; L. ca. 42 cm
1. Hälfte 17. Jahrhundert

Die Textilfunde (Fasern, Garne, Gewebe und Gestricke) aus der Kloake Baumstraße/Im Wendischen Dorfe in Lüneburg gehören zu den wenigen gut datierten Textilfunden aus der Frühneuzeit. Aufgrund der in dieser Kloake gefundenen Keramik sind diese Textilien in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts benutzt und wohl auch hergestellt worden. Sie sind deshalb für die Erforschung der Entwicklung alter Textiltechniken wie Weberei und Strickerei von besonderer Bedeutung, da wir aus Ausgrabungen in Norddeutschland nur wenige einwandfrei in das 17. Jh. datierte Textilfunde kennen.

Zu den bemerkenswertesten Textilfunden aus der Kloake in der Lüneburger Baumstraße gehören die 10 Wollgestricke, da wir für fast alle den früheren Verwendungszweck einwandfrei bestimmen können. Es sind ein Paar Fingerhandschuhe, ein Kniestrumpf sowie die Reste von mindestens vier Strümpfen und einem Socken. Es sind bis auf den Socken alles grobe oder mittelfeine Strickwaren, die aus verhältnismäßig glatten Zwirnen gestrickt worden sind. Gestricke kennen wir zwar auch von anderen norddeutschen Ausgrabungen, doch sind es bis auf wenige Ausnahmen alles nur sehr kleine Fragmente, für die nur selten etwas über den früheren Verwendungszweck ausgesagt werden kann.

Alle Strickgarne wurden aus Mischwollen gesponnen. Es sind überwiegend glatte mittelfeine Fasern, durchsetzt mit feinen und groben Fasern (z.T. mit Markkanälen). Eine genaue Bestimmung und eine mögliche Zuordnung zu den in der Frühneuzeit gebräuchlichen Vliestypen ist nur durch umfangreiche Messungen der Faserdurchmesser möglich. Die Fasern sind gut erhalten und die Schuppenschichten noch erkennbar.

Die Gestricke sind heute von mittelbrauner oder dunkelbrauner Farbe. Ob es sich um naturfarbige oder gefärbte Wollgarne handelt, kann nur durch Farbstoffanalysen geklärt werden. Die Gestricke sind Rechts-Links-Waren die mit 4 bzw. 5 Nadeln gestrickt wurden. Bei einigen Gestricken wechseln manchmal an den Rändern Reihen mit linken und rechten Maschen. Bemerkenswert ist auch der Herstellungsvorgang des Kindersockens. Das Oberteil ist waagerecht gestrickt, das Unterteil senkrecht. Dieses Gestrick unterscheidet sich auch von allen anderen durch seine Feinheit. Die übrigen Gestricke sind bis auf eine Ausnahme aus glatten z/S-Zwirnen von 0,8 bis 1 mm Durchmesser hergestellt und als mittelfein zu bezeichnen. Nur der Fußteil eines Strumpfes ist mit 2 bis 3 Maschenreihen und 3 Maschenstäbchen pro cm² sowie einer gröberen Garnstärke eine grobe Qualität.

Strumpf mit Ledersohle
Die Kostbarkeit eines Strumpfes um die Mitte des 17. Jahrhunderts illustriert wohl am deutlichsten ein Preisvergleich: 1663 kosteten in Apolda /Thüringen zwei Strümpfe 12 Groschen - ein Betrag, für den man auch ein Kalb erwerben konnte. Für die Mehrheit der Bevölkerung wurden sie erst durch die Entwicklung der maschinellen Produktion erschwinglich. (R. Kahle)

Der fast vollständige Wollstrumpf hat eine Länge von etwa 42 cm und wurde aus zwei verschiedenen Garnen gestrickt, und zwar im oberen Bereich aus mittelbraunen und im unteren Bereich aus hellbraunen Zwirnen. Der erstaunlich gut erhaltene Strumpf (nur mit Löchern an Ferse und Sohle) ist mit einer angenähten Ledersohle verstärkt, von der allerdings nur ein Teil am Vorderfuß erhalten ist. Oben auf der Fußspitze befindet sich noch ein Stück aufgenähten Gewebes in Tuchbindung.

Das Stricken war in der Frühneuzeit in Nordeuropa weit verbreitet, das zeigen uns nicht nur Funde von Wollgestricken aus Ausgrabungen sondern auch Gestricke aus Baumwolle und Seide aus Museumssammlungen (siehe dazu Eva Jordan-Fahrbach 2006, 122 und 154). Verhältnismäßig viele Gestricke aus Wolle aus dem 17. Jh. gibt es auch von anderen Fundstellen in Nordeuropa. In einem Wall in Kopenhagen wurden Fausthandschuhe und Strümpfe geborgen (Warburg 1987, 79-94.). Von Ausgrabungen in Riga kennen wir ebenfalls Fausthandschuhe und Strümpfe (Zarina 2000., 2-10). Mützen, Strümpfe und Socken wurden auch bei mehreren Ausgrabungen auf Spitzbergen gefunden (Comis 2001, 23-35). Die meisten dieser Gestricke entsprechen von der Qualität her den Lüneburger Gestricken, jedoch sind einige von ihnen auch durch farbige Streifen, eingestrickte Ornamente oder mit zusätzlich eingearbeiteten Fäden gemustert.

Anmerkung: Herrn Konrad Knörrlich aus Neumünster danke ich für die Unterstützung bei der textiltechnischen Untersuchung der Wollgestricke.

Autor: Klaus Tidow (unveröffentlichter Bericht, gekürzt); ausführlicher in: Denkmalpflege in Lüneburg 2006, 71-80. Download PDF  (785 KB)

Literatur