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Objektgruppe Keramik

Steinzeug

„…alte Siburger Krüge mit engen Helsen und Töbings wapen…”

Steinzeug Siegburger Art in Lüneburg

Aus dem Rheinland sind während des Mittelalters und der frühen Neuzeit zahlreiche Steinzeuggefäße nach Lüneburg gelangt. Eine Warenart fällt durch ihre schiere Masse besonders ins Gewicht, das Steinzeug Siegburger Art. Dieses Steinzeug hat eine hellgelbe Scherbenfarbe, die Oberfläche ist sehr oft rötlich-braun geflammt. Wie bei allen Steinzeugarten ist der Scherben klingend hart gebrannt und vollständig gesintert, d. h. die Bestandteile sind miteinander verschmolzen. Diese Warenart wurde ausschließlich für Trink- und Schenkgefäße und in geringem Umfang für Vorratsgefäße genutzt, flache Formen wie Teller und Schüsseln sind unbekannt.

Gefertigt wurde dieses Steinzeug hauptsächlich im namengebenden Siegburg, daneben sind aber auch Produktionsstätten in Sachsen, im Westerwald, in Nordfrankreich und in Belgien bekannt. In Siegburg befanden sich die Töpfereien in einem Bezirk außerhalb der Stadtmauer, der „Aulgasse”. Hier waren alle Siegburger Töpfer angesiedelt und hier befanden sich auch ihre Werkstätten. Das Wort „Aulgasse” leitet sich von Eulner, Oilner oder Ulner ab. Die Bezeichnung Ulner für einen Töpfer war in Siegburg bis in das 19. Jahrhundert üblich.

Anfang der Sechziger Jahre konnte der größte Abwurfhügel archäologisch untersucht werden. Dieser Hügel hatte riesige Dimensionen, er war 60 m lang und bis zu 5,5 m hoch. Er bestand hauptsächlich aus Tausenden von aussortierten Fehlbränden, die sich nicht zum Verkauf eigneten und deshalb entsorgt wurden.

Während der Produktionsbeginn nur allgemein in das 13. Jahrhundert gesetzt werden kann, ist das Ende der Produktion in Siegburg im 17. Jahrhundert sicherer belegt. Bereits 1588 wurde die Aulgasse im Zuge des Truchsessischen Krieges von spanischen Truppen zerstört. Gut 50 Jahre später, im Jahr 1637 verwüsteten schwedische Truppen die außerhalb der Stadt gelegenen Töpfereien endgültig. Schon nach der ersten Zerstörung 1588 wanderten zahlreiche Töpferfamilien in den Westerwald ab. Nach 1637 kommt die Produktion vollständig zum Erliegen. Diese entstandene Lücke füllte das Steinzeug Westerwälder Art aus, welches im 17. und 18. Jahrhundert zum dominierenden Steinzeug wurde.

Durch erhaltene Zunftordnungen ist viel über die Organisation und Struktur des Handwerks in Siegburg bekannt. Danach konnten nur eheliche Söhne aus den Töpferfamilien nach sechsjähriger Lehrzeit Meister werden. Auch die Arbeistzeiten waren streng geregelt, nach Einbruch der Dunkelheit durften keine Töpfe mehr hergestellt werden und zwischen dem Martinstag (11. November) und Aschermittwoch ruhte die Arbeit ganz.

Der Fernhandel mit Steinzeug Siegburger Art wurde ausschließlich über Köln abgewickelt. Im Gegensatz zu anderen Töpfereizentren, wie z. B. Duingen in Niedersachsen handelten die Töpfer nicht direkt, auch waren keine Siegburger Händler in den Keramikhandel einbezogen, nahezu die gesamte Produktion wurde durch Kölner Großhändler abgenommen. Wie beim Steinzeug Westerwälder Art folgte der Handelsweg dem Rhein, in der Rheinmündung wurde die Ware auf Seeschiffe umgeladen und nach ganz Nordeuropa verschifft. Das Steinzeug Siegburger Art findet sich deshalb in fast allen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Siedlungen in England, Skandinavien, den Niederlanden, dem Baltikum und Deutschland.

Über Elbe und Ilmenau erreichte das Steinzeug dann Lüneburg. Über den Absatzweg innerhalb der Stadt ist nichts bekannt. Drei Wege sind denkbar, zum einen der Verkauf im Kaufhaus am Hafen, zum anderen der Verkauf über die Märkte und schließlich der Absatz über Hausierer.

In vielen der etwa 60 bekannten Kloaken fand sich diese Warenart. Der Großteil der Gefäße ist unverziert oder besitzt nur kleinflächige Auflagen. Einige wenige Krüge, die zylindrisch-konischen Schnellen zeigen dagegen eine reiche plastische Verzierung.

Aus dem reichhaltigen Formspektrum können in Lüneburg folgende Formen identifiziert werden

1. Enghalskrüge

Enghalskrug, Steinzeug Siegburger Art
Enghalskrug Siegburger Art, am Henkel Rest eines Zinndeckels.

Diese Krüge besitzen einen kugeligen bis eiförmigen Gefäßkörper, eine ausgeprägte Schulter, den namengebenden engen Hals und einen Wellenfuß. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle in Lüneburg gefundenen Stücke dieses Typs unverziert. Zwei datierte Stücke bilden eine Ausnahme, der ältere Krug zeigt zwei identische Wappen mit dem Monogramm „PL” einem Wappenschild mit einer Lilie und drei Pilzen sowie die Datierung „95”. Aufgrund verschiedener Parallelen ist dieses Exemplar 1595 oder kurz danach entstanden. Das zweite Stück zeigt ein fragmentarisch erhaltenes Wappen mit der Jahreszahl „1602”.

Diesem relativ schmucklosen, über 100 Jahre produzierten Typ sind die meisten Gefäße zuzuordnen.

2. Bauchige Krüge

Im Gegensatz zum ersten Typ ist hier die Schulter weniger stark ausgeprägt, auch fehlt der enge Hals. Zu diesem Typ gehört eine geringere Anzahl von Exemplaren. Er gehört ebenfalls in das 15. und 16. Jahrhundert.

3. Jakobakannen

Jakobakanne, Steinzeug Siegburger Art

Die Jakobakannen haben einen sehr schlanken Gefäßkörper, der oftmals in der Bauchmitte zwei Dellen aufweist. Häufig ist ein Ausguß im Winkel von 90° zum Henkel angebracht. Dabei fällt auf, daß sich dieser Typ entweder nur mit der linken Hand oder mit beiden Händen vom Körper weg nutzen läßt. Der Name beruht auf einer niederländischen Bezeichnung des 17. Jahrhunderts, die zurückgeführt wird auf eine Gräfin Jacoba (1401-1436), der die Produktion dieser Form zugeschrieben wurde. Ihre Hauptverbreitung fanden die Jacobakannen im 15. Jahrhundert.

4. Trichterhalskrüge

Über einem eiförmigen Gefäßkörper sitzt ein weitmundiger, trichterförmiger Rand. Zentral auf dem Gefäßkörper sitzen bis zu drei plastische Auflagen. Diese Auflagen zeigen neben floralen Motiven sehr häufig biblische Szenen. So ist in Lüneburg ein Trichterhalskrug mit drei gleichen Kreuzigungszenen und ein weiterer Krug mit zwei gleichen bayerischen Wappen und einer Personendarstellung erhalten. Während der Krug mit den Wappen durch die aufgebrachte Jahreszahl 1594 sehr gut datiert ist, kann das andere Stück mit den Kreuzigungsszenen nur allgemein die zweite Hälfte des 16 Jahrhunderts gesetzt werden.

Trichterhalskrüge
Trichterhalskrüge mit Kreuzigung und bayrischem Wappen von 1594

Die Trichterhalskrüge wurden im gesamten 16. Jahrhundert produziert, wobei der Motivreichtum in der zweiten Hälfte stark zunimmt.

Schnelle mit Wappen Maximilians II.

5. Schnellen

Die Schnellen haben einen zylindrisch-konischen Gefäßkörper mit großflächigen plastischen Auflagen. Die Schnellen entwickelten sich im Laufe des 16. Jahrhundert und verdrängten die Jacobakannen. Zusammen mit ihren kleinen Schwestern, den Pinten zeigen sie mit am besten das Können der Bildschneider im ausgehenden 16. Jahrhundert.

Im Lüneburger Material befindet sich eine 26 cm hohe Schnelle mit drei verschiedenen Auflagen. Das Zentralmotiv zeigt das Wappen des spanischen Königs Maximilian II zusammen mit der Jahreszahl 1573. Links davon befindet sich das spanische Wappen mit dem goldenen Vlies und auf der rechten Seite ist das dänische Wappen aufgebracht. Alle drei Motive finden sich in unterschiedlichen Kombinationen auch auf zahlreichen anderen Schnellen im Kunstgewerbemuseum Köln und im Trierer Landesmuseum. Alle diese Gefäße können dem Werkstattkreis um Christian Knütgen (1568-1605 tätig), Hans Hilgers (1569-1595 tätig) und dem Monogrammisten „LW” (1572-1579 tätig) zugeschrieben werden. Die aufgedruckten Datierungen reichen von 1573 bis 1576.

Bildquellen

Laurentius tauft Lucillus
Laurentius tauft Lucillus. Ausschnitt aus dem Heiligentaler Altar, St. Nikolaikirche, Lüneburg.

In vielen mittelalterlichen Tafelmalereien, Altargemälden oder Buchillustrationen sind Siegburger Gefäße dargestellt. So auch in Lüneburg, wo auf dem Heiligentaler Altar, der sich in der St. Nikolaikirche befindet, in zwei Taufszenen Jacobakannen dargestellt sind. Beide Taufszenen beziehen sich auf die Heiligengeschichten des St. Laurentius und des St. Andreas. Letzterer tauft Maximilla, während St. Laurentius im Kerker dem Lucillus die Taufe spendet. Beide Heilige benutzen hier eine Jacobakanne als Taufgefäß. Der Altar ist zwischen 1444 und 1447 in Lüneburg von Hans Bornemann (vor 1444 - 1473/74) bemalt worden. Urpsrünglich wurde er 1392 für das Kloster Heiligental geschaffen und gelangte nach der Auflösung des Klosters 1530 in die St. Nikolaikirche, wo er bis 1861 als Hauptaltar genutzt wurde.

Archäologische Quellen

Betrachtet man die Verteilung des Steinzeugs Siegburger Art in den Kloaken so fällt auf, daß diese Warenart sich regelmäßig in der ganzen Stadt findet und sich keine Schwerpunkte erkennen lassen. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, daß es sich nicht um eine ausgesprochene Luxusware handelte, die nur einem kleinen Kreis der Bevölkerung zugänglich war, sondern daß das Steinzeug Siegburger Art eine ausgesprochene Massenware war, die oft auch nur in 100er Einheiten abgerechnet wurde. Die Ausnahme bilden hier die Schnellen, die einem Werkstattkreis entstammen, der hauptsächlich hochqualitative Stücke herstellte. Eine Möglichkeit der Wertsteigerung bestand darin, das Gefäß mit einem Zinn- oder Silberdeckel zu versehen. Sehr oft haben die Töpfer diese Möglichkeit in Betracht gezogen und die Henkel mit kleinen Montierungslöchern versehen, in denen der Metalldeckel einen sicheren Halt fand.

Schriftquellen

Im Haushaltsinventar des Christoff Töbing aus dem Jahr 1656 werden unter der Rubrik „Krüge mit silbernen Dekkeln” zwei „kleine Siburger Brandtweinkrüge mit Töbings wapen” und „4 alte Siburger Krüge mit engen Helsen und Töbings wapen, davon 1 zerbrochen” erwähnt. Obwohl hier nicht exakt von Siegburg die Rede ist, ist dennoch davon auszugehen, daß es sich hier um Siegburger Steinzeug handelt. Die erwähnten Töbinger Wappen sind vermutlich auf den erwähnten Silberdeckeln angebracht gewesen, denkbar ist aber auch eine Auftragsarbeit mit dem Töbingschen Wappen direkt auf dem Gefäß. Aus Münster und Hamburg sind Auftragsarbeiten mit vorbestellten Wappen bekannt, allerdings sind hier Handels- und Handwerksgilden als Auftraggeber überliefert.

Ob es sich bei den „Krügen mit engen Helsen” um unsere Enghalskrüge und bei den „Brandtweinkrügen” um Trichterhalskrüge handelt kann nicht exakt bestimmt werden. Dennoch bleibt festzuhalten, daß diese Krüge auch etwa 20 Jahre nach Produktionsende einen festen Platz im patrizischen Haushalt der Töbings besaßen und trotz der Zusätze „alt” und „zerbrochen” noch einen gewissen Wert aufwiesen.

Autor: Marc Kühlborn; in: Aufrisse, Jahresheft des Arbeitskreises Lüneburger Altstadt e.V. Nr. 13, 1997, 30-36. Download PDF  (1,5 MB)

Literatur