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Objektgruppe Keramik

Napfkacheln als Spuren einer „Caminata”

FO: Salzbrückerstraße 18
uneinheitlich gebrannte Irdenware
H. ca. 12 cm; Rdm. ca. 16 cm; Bdm. 9,5 cm
13. Jahrhundert

Napfkacheln
Uneinheitlich gebrannte Irdenware: hart gebrannt, Scherben lehmbraun, quarzgrau bis braunbeige, Boden und Außenseite bis zum Rand partiell verrußt.

Zu den besonderen Funden gehören sicherlich die vier vollständig erhaltenen Ofenkacheln. Gefertigt auf der schnellen Drehscheibe gehören sie zum Spektrum der uneinheitlich gebrannten, harten Irdenware. Da der Mündungsdurchmesser dieser Gefäßkacheln ihre Höhe übersteigt, werden sie hier als Napfkacheln bezeichnet.

Auf der Suche nach vergleichbaren hochmittelalterlichen Gefäßkacheln zeigt sich, dass im weiten Umkreis nur zylindrische, meist hochschlanke Becherkacheln des späten 12. und 13. Jahrhunderts bekannt sind. Zwar finden sich unter ihnen auch Beispiele mit identischer Randbildung und Bodenkniffen, so aus Lübeck, dendrochronologisch datiert nach 1186/87. Parallelen zur konisch-gedrungenen Form unserer Funde fehlen jedoch.

Weitgehend identische Vergleichsbeispiele liegen aus Südwestdeutschland und der Schweiz vor. Diese besonders von nordwestschweizer Burgen bekannten Napfkacheln datieren in das späte 12. Jahrhundert. Eine etwas jüngere Typengruppe läuft dort vom dritten Viertel des 13. bis in das 14. Jahrhundert hinein. Derartige Napfkacheln sind auch bei den Altstadtgrabungen in Konstanz gefunden worden.

Machart und Brandhärte setzen die Lüneburger Napfkacheln von den weicher gebrannten, langsam gedrehten Lübecker Becherkacheln des späten 12. Jahrhundert ab. Anderseits erscheint eine Datierung in das 14. Jahrhundert wenig wahrscheinlich, da zu dieser Zeit graue Gefäße die älteren, uneinheitlich gebrannten Warenarten abgelöst hatten. Trotzdem gilt es zu bedenken, dass wir es bei unseren Funden mit einer technischen Spezialkeramik zu tun haben, deren Warenart mit der Entwicklung der Gebrauchsgefäße, die gänzlich anderen Ansprüchen genügen mussten, nicht unbedingt parallel lief.

Da geographisch näher gelegene Vergleichsbeispiele fehlen, bleibt vorerst das 13. Jahrhundert als weiterer Datierungsrahmen für die Lüneburger Ofenkacheln.

Wie sahen nun die Öfen aus, in deren Lehmmantel die Kacheln eingebaut waren? Die verrußte Außenseite der Lüneburger Napfkacheln zeigt, dass sie wohl bis zum Rand in die Wandung eingelassen waren. So wurde eine größere wärmeabstrahlende Oberfläche erreicht. Diese Beobachtung entspricht den frühen Ofendarstellungen, etwa einem um 1300 entstandenen Fresko aus Zürich. Dort waren Kacheln in der gewölbten Kuppel und im quaderförmigen Unterbau, dem Feuerkasten, eines wohl brusthohen Vorderladeofens verbaut. Wiederholtes Aufheizen und Abkühlen führte in der Wandung zu Spannungen, die eine wohl nur 10 - 20jährige Lebensdauer dieser Öfen zur Folge hatten. Folgt man den zeitgenössischen Darstellungen, so waren für ihren Wiederaufbau leicht über 100 Kacheln nötig. Gewiß wurden dabei auch alte Kacheln wiederverwendet. Wie die Lüneburger Ofenkacheln aber in die durchweg jüngere Kloakenfüllung gelangten, bleibt ungeklärt. Vielleicht waren sie mehrfach an der Rückseite verschiedener Öfen verbaut, vielleicht dienten sie auch nur als Boden- oder Wandfüllung.

Mit den Kacheln des 13. Jahrhunderts aus der Salzbrückerstraße 18 finden wir den ältesten archäologischen Hinweis auf eine Kachelofenheizung in Lüneburg. Archivalisch ist dort die rauchfrei beheizbare Stube als caminata erstmals 1333 überliefert. Ob dieser Raum nun mit einer Heißluftheizung oder einem Kachelofen beheizt wurde, wird nicht erwähnt. Überregional ist jedoch im städtischen Bereich spätestens im 13. Jahrhundert mit der allgemeinen Verbreitung von Kachelöfen auch im bürgerlichen Milieu zu rechnen. Eine frühe Bebauung der mit 182 m² großzügig dimensionierten Parzelle Salzbrückerstraße 18 mit einer hölzernen oder aus Stein errichteten Kemenate wäre daher denkbar.

Autor: Joachim Stark; in: Denkmalpflege in Lüneburg 2002, 31-33.